Das Europäische Parlament wird in seinem Bericht über Einfluss der russischen Aggression auf die Sicherheits-und Verteidigungspolitik der Europäischen Union empfehlen, der Ukraine einen EU-Beitrittskandidatenstatus zu gewähren. Diese Entscheidung wurde am 8. Juni trotz der Position mancher Mitgliedsstaaten der Europäischen Union getroffen. Jetzt wartet die Welt mit angehaltenem Atem darauf, wie diese Frage gelöst wird. 

Warum ist es so wichtig für die Ukrainer? Die Sache ist die, dass sich die meisten von uns so fühlen, als ob wir schon längst mit Europa vereinigt sind. Rechtsstaatlichkeit, Gleichheit, Achtung gegenüber der Menschenwürde, Achtung gegenüber der Menschenrechte, Freiheit, Demokratie – sechs grundlegende EU-Werte. Wir reden so  lange von unserer europäischen Integration, dass alle unseren Schritte und Handlungen in einer beliebigen Richtung so oder anders nur von einem einzigen Prinzip geleitet werden – ob sie den europäischen Standards entsprechen. 

Noch seit der Orangefarbenen Revolution, die 2004 stattfand, macht jeder bewusste Ukrainer alles Mögliche, um sich von der Assoziation mit der Sowjetunion zu trennen. Die Revolution der Würde 2014 hat diesen Prozess nur gestärkt. 

Zum Beispiel im Oktober 2020 teilte der Vorsitzende der Werchowna Rada(ukrainischer Parlamentspräsident) Russland Stefantschuk mit, dass im Parlament ein Gesetzentwurf über Entsowjetisierung der Gesetzgebung der Ukraine registriert wurde. Zusammen mit Parlamentsabgeordneten schlug er vor, die Gültigkeit mancher Normativ-und Rechtsakten der sowjetischen Periode abzuschaffen, die das einheimische gesetzgebende Feld «verunreinigen». Unter anderem schlug man vor, fast 1500 gesetzgebende Akten der Staatsmacht-und Führungsbehörden der UdSSR und der Ukrainischen SSR als solche anzuerkennen, die auf dem Territorium der Ukraine nicht eingesetzt werden. Die Vorbereitung des Gesetzentwurfs dauerte fast ein Jahr lang. In dieser Zeitspanne wurden etwa 15 Tausend Normativ-und Rechtsakten der Union der SSR und sieben Tausend Akten der Ukrainischen SSR analysiert, um diejenigen festzustellen, der man schon längst nicht bedurfte. Das Parlament unterstützte eine solche Initiative, und bereits im Mai dieses Jahres unterzeichnete Präsident das verabschiedete Gesetz. 

Und objektiv hat sich gerade die Ukraine von allen Ländern des postsowjetischen Raums am meisten von der sowjetischen Lebensweise  entfernt und an Europa genähert. Offensichtlich gerade deswegen wurde  all die mögliche Aggression Russlands, das sich als Rechtsnachfolger der UdSSR erklärt hat, gegen unser Land gerichtet. Die ganze Welt gibt zu, dass zurzeit der Krieg für die europäischen Werte geführt wird. Und sie verteidigen die Menschen, die de facto noch nicht einmal Vertreter der Europäischen Union sind. Aber sie streben über alles danach, dass dies geschehen ist. Es ist wahr, dass wir alte Rechnungen mit dem Nachbarland zu begleichen haben, das ständig unsere Rechte schmälerte und letztlich einen Krieg gegen uns entfesselt hat. Es ist aber sehr wichtig, dass sich Europa unserem Kampf anschließt. Denn ein gemeinsamer Sieg wird ein mächtiges Signal für andere ehemalige Teilrepubliken sein und Möglichkeiten des Neuimperiums wesentlich schwächen.

Von Ukrainern, die zwangsläufig in europäischen Familien wohnen, spricht man viele gute Worte. Dies sagte der Parlamentspräsident Russlan Stefantschuk in den Niederlanden während eines Arbeitstreffens mit der Sprecherin des Repräsentantenhauses Vera Bergkamp und dem Sprecher des Senats Jan Anthonie Bruijn. «Sechs Millionen Ukrainer wohnen in Familien in ganz Europa, - betonte er. – Diese Menschen sind absolut Europäer – hochkulturell, gebildet, die sich einfach vom Krieg versteckt halten und einen großen Wunsch haben, nach Hause zurückzukehren». Wir hegen Hoffnungen, dass sie doch noch etwas haben werden, wohin sie zurückkehren. Ja. Unsere Menschen sind fähig, die europäische Gemeinschaft zu stärken und sich darin zu integrieren.  Aber wird Europa gewinnen, wenn sich die Grenze des Kriegs für die europäischen Werte bis zum Anschlag nähert? Und sie wird sich unbedingt  im Falle unserer Niederlage im Krieg gegen Russland nähern. 

Ukrainer hätten die Welt inspiriert, - sagte die Präsidentin des Europäischen Parlaments Roberta Metsola. «Ihr Kampf für Demokratie und europäische Werte ist auch unser Kampf», – betonte sie während eines Treffens mit dem Parlamentspräsidenten R. Stefantschuk am 8. Juni. Schon bald werden wir erfahren, ob die Europäer bereit sind, sich so zu vereinigen, wie sich die Ukrainer im Kampf für sechs grundlegende Prinzipien vereinigt haben – Rechtsstaatlichkeit, Gleichheit, Achtung gegenüber der Menschenwürde, Achtung gegenüber der Menschenrechte, Freiheit, Demokratie.