Dmytro sah mit eigenen Augen, wie am 5. März ein raschistischer Hubschrauber eine Bombe auf dieses Haus abwarf. Die Maschine flog sehr tief und ließ ihre totbringende Last auf eine Straße fallen – die Bombe traf als Querschläger das Gebäude. In der Zeit befand sich dort ein Einwohner. Eine Explosionswelle schleuderte ihn auf die Straße und er blieb am Leben.

An dem Tage beschloss Dmytro, seine Familie auszufahren. Er sagt, dass bereits wenige Stunden später nach der Evakuierung ein Geschoss sein Haus traf, eine Weile später  flog ein weiteres herbei. Aber die Wohnung meines Gesprächspartners blieb wie durch Wunder unversehrt und wohnbrauchbar. Jedoch möchte der Mann seine Frau und seinen vierjährigen Sohn erst nach dem Wiederaufbau der Stadt ins Haus bringen(dafür ist er eigentlich zurückgekehrt, nachdem unsere Truppen Irpin befreiten). Dmytro ist überzeugt: Sein Kind soll nicht in dieser Horrorfilm-Dekoration aufwachsen, die hier russische Zombies laut Putins Szenarium „gebaut“ haben. 

Und wirklich ähneln schwarzgeräucherte Häuserskelette, umhängt mit zerfetztem Eisenschrott und bestreut mit kleinen Glassplittern, Bildern aus einem fantastischen Blockbuster über die Apokalypse. Und als Soundtruck dazu hört man ein schrilles Knirschen von Metallstücken in einer Kakophonie mit gesprengter Leere eingeschlagener Fenster.

Ein gruseliges Gestöhn des schwer verletzten Irpin ist sogar auf einer Diktiergerätaufnahme des Gesprächs mit Dmytro zu hören. Nur aber ist es unmöglich, diese Kinovorführung selbstständig zu verlassen. Denn das ist eine Realität. Unsere ukrainische Realität Mitte April 2022.

Die Hauseinwohnerin Irina schluckt Tränen, als sie sich im Hintergrund mit einer Brandstätte daran erinnert, wie sie zusammen mit ihrem Mann hart arbeiteten, um eine Wohnung zu kaufen, wie ihre Familie im Komfortviertel „Irpin-Linden“ wohnte, wie sie beiden davon träumten, hier in kürze ihre Enkelkinder zu pflegen, wie der Hund Senja auf einem gemütlichen Hof unter den Kiefern spielte…

In wenigen Tagen vernichtete die russische Horde ihr jahrelang aufgebautes stilles friedliches Glück. Es gelang ihnen mit ihrer schwangeren Tochter Irpin vor der Besetzung zu verlassen. Und am 17. März berichteten ihre Bekannten, die hier geblieben waren, zum letzten Mal telefonisch – ihr Haus sei in Brand gesteckt. Die Frau zeigt ausgebrannte Räumlichkeiten eines Kinderzentrums im Erdgeschoss ihres Hauses. Sie berichtet: Die Russen zielten darauf mit Streugeschossen, die letzteren brennen alles völlig aus und es ist unmöglich, die Flammen zu löschen.

 

Zurzeit warten die Einwohner von „Irpin-Linden“ wie auch Eigentümer anderer durch den raschistischen Einfall zerstörter und verunstalteter Gebäude auf die Ergebnisse einer Expertenbegutachtung. 

Der Mitbegründer eines Wohnungsbauunternehmens Roman Drischdenko hofft, dass es gelingen werde, Irinas Monolith-und Fachwerkbauhaus wiederaufzubauen. Er sagt: Die Ausmaße von Irpin-Zerstörungen seien kolossal. Die Ruinen der Stadt wiederaufzubauen sei nur mit Finanzhilfe internationaler Partner möglich. 

Roman schmunzelt: Die Russen hatten meinen Urgroßvater als Großbauer enteignet. Und auch diesmal sind sie gekommen, um uns zu entkulakisieren…

Doch jetzt haben sich die Ukrainer die historische Lehre ihres „älteren Bruders“ gut eingeprägt. Und sie legen bereits auf dem Schlachtfeld eine entscheidende Prüfung ab und bauen erneut ihr ukrainisches Leben auf.

Foto vom Autor